BR - Ferdinand von Schirach - Terror




 Titel:Terror
 Reihe: /
 Autor: Ferdinand von Schirach
 Genre: Kriminaltheaterstück
 Verlag:Piper
 Seitenzahl: 176 Seiten
 Preis: 16,00€








Das ist kein Witz. Kant verlangt das wirklich. Und die Staatsanwältin verlangt von Ihnen dasGleiche: ein Prinzip über den Einzelfall zu stellen, Prinzipien über das Leben. Prinzipien mögen vernünftig sein und vvielleicht in den meisten Fällen auch richtig. Aber ihnen hier zu folgen - was wäre das für ein Wahnsinn? Ich jedenfalls würde den Mörder immer anlügen, ich ziehe es vor, meine Freunde zu retten.

Ein Terrorist kapert eine Passagiermaschine und zwingt die Piloten, Kurs auf ein voll besetztes Fußballstadion zu nehmen. Gegen den Befehl seiner Vorgesetzten schießt ein Kampfpilot der Luftwaffe das Flugzeug in letzter Minute ab, alle Passagiere sterben, doch die Menschen im Stadion bleiben verschont. Der Pilot muss sich vor Gericht für sein Handeln verantworten. Seine Richter sind die Theaterbesucher, sie müssen über Schuld oder Unschuld urteilen und je nach ihrer Entscheidung kann das Stück die eine oder die andere Wendung nehmen.
Der Anschlag auf die Redaktion von Charlie Hebdo im Januar 2015 hat auf schrecklichste Weise gezeigt, wie hoch der Preis sein kann, den wir für unsere Freiheit zahlen müssen. Schirachs Rede auf Charlie Hebdo, die ebenfalls in diesem Band enthalten ist, ist ein Plädoyer für die Freiheit des Wortes, für unsere Zivilisation im Angesicht ihrer Feinde.

Etwas untypisch kommt das neue Buch des Strafverteidigers, der längst deutlich bekannter als Schriftsteller ist, ist in vielerlei Hinsicht anders. Zuerst passt der Umschlag kaum noch zu den anderen Bänden des Autors. Obwohl es ebenso, wie alle anderen Werke bei Piper erschienen ist, verzichtet der Verlag dieses Mal auf die so markante Rückenfigur, welche die meisten der anderen Bücher ziert. Das Buch schlägt eher in die gleiche Richtung wie auch die Sammlung Schirachs Artikel "Die Würde ist antastbar". Allerdings passt es auch sehr gut zu einer Art Drehbuch. Eine weiße Seite und einfach nur Autor und Titel aufgedruckt. Schwarz auf Weiß, so wie die Seiten eines Skripts für einen Film oder eben ein Theaterstück. So passt es natürlich wieder sehr gut.
Genau die Art und Weise wie das Buch geschrieben ist, ist so aber auch etwas ganz anderes. Nach den Kurzgeschichten und dann den romanhaften Darstellungen von Gerichtsverfahren, liefert Ferdinand von Schirach an dieser Stelle ein Theaterstück. Die Verhandlung des Angeklagten wird für das Publikum vorgeführt und die Zuschauer sind letztlich die Richter. Ist der Mann schuldig oder nicht?
In gewohnter Manier schreibt Schirach vom Verfahren gegen den Luftwaffenoffizier, der des 164-fachen Mordes angeklagt ist. Dabei zeigt er in diesem Werk noch deutlicher auf als sonst, wie ein solcher Prozess abläuft und welche Möglichkeiten die einzelnen Handelnden haben. Es wirkt deutlich näher als sonst und büßt doch nicht den klaren, verständlichen Schreibstil Schirachs ein.
Anders als sonst bleibt allerdings das Ende des Falles vollkommen unklar. Der Leser oder eben der Zuschauer entscheidet wie das Verfahren ausgehen wird. Wird Lars Koch freigesprochen oder für schuldig erklärt? Natürlich können im Buch beide Enden nachvollzogen werden, doch es ist spannend selbst darüber nachzudenken, auf welcher Seite man selbst steht. Stimmt man der Staatsanwältin zu und glaubt, dass die Freiheit Grenzen hat, dass wir mehr Sicherheit brauchen und ein Leben niemals ein anderes aufwiegen kann. Oder sieht man diesen Fall als eine Art Fallentscheidung, eine Lage, in der Koch gar nicht anders handeln konnte, nicht anders handeln durfte, weil dies der einzige Weg ist so viele Menschen zu retten, auch wenn einige dafür sterben mussten. Gibt es einen Augenblick, in dem das Gesetz nicht mehr greift und in dem es erlaubt ist Befehle zu missachten?
Mehr Aktualität könnte das Buch kaum haben. Schirach betont selbst, dass er das Stück vor den Anschlägen auf die Satirezeitung Charlie Hebdo geschrieben hat und die Rede für die Preisverleihung des Besitzer der Zeitung vor den Anschlägen Ende 2015. Ob Schirach an dem Abend, als das Länderspiel zwischen Frankreich und Deutschland auf so grausame Weise unterbrochen wurde wohl einen Moment des eigenen Schreckens erlebte? Man weiß es nicht, doch es beweist wie wichtig die Auseinandersetzung mit der Frage ist, wie wir dem Terror entgegentreten. Entsprechend ergreifend ist das Stück und auch die nachgestellte Rede, die mehr emotionale Tiefe erzeugt, als es irgendwelche Worte könnten.

Innovativ und erschreckend aktuell. Dieses Buch muss man gelesen haben und man sollte sich selbst hinterfragen. Wie würden wir wohl in einer solchen Situation handeln? Ein rundum gelungenes Werk.

Aussehen: ♥♥♥♥
 Spannung: ♥♥♥♥♥
 Schlüssigkeit: ♥♥♥♥♥
 Emotionale Tiefe: ♥♥♥♥♥
 Schreibstil: ♥♥♥♥♥










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