Gebundene Ausgabe
Erschienen am: 28. Oktober 2013
Verlag: Knaus
ISBN: 978-381350595
Seitenzahl: 368 Seiten
Preis: 19,99 €
"Wollte sie auf diese Weise verhindern, dass die entflohenen Sklaven in ihrem Kopf zu Menschen aus Fleisch und Blut wurden? Ohne Namen würden sie leichter wieder aus ihrem Gedächtnis und ihrem Leben verschwinden. Sie dachte an den namenlosen Mann, der im Wielandwald begraben lag.
Suche auch in dieser Frau nach ihrem Anteil vom Licht, ermahnte sich Honor, denn er ist da, genau wie bei jedem anderen Menschen."
Honor Bright wurde als eines von vier Kindern in eine englische Quäkerfamilie geboren. Sie wuchs in dem Glauben auf, dass alle Menschen vor dem Herren gleich sind. Sie hält sich streng an die Regeln der Gemeinschaft. Sie lügt nicht, trinkt keinen Alkohol und hilft, wo sie kann. Sie besitzt ein Talent für das Nähen von Quilts, die bei den Quäkern besonders wichtig sind. Ihre Finger sind geschickt im Umgang mit der Nadel und sie fügt Stoffe zu wundervollen Mustern zusammen. Kurz vor ihrer Hochzeit verlässt der Auserkorene sie allerdings für eine andere Frau, die nicht einmal eine Quäkerin ist und wird so sogar aus der Gemeinschaft ausgeschlossen. Ihr Verlust macht es ihr schwer weiter in ihrem gewohnten Umfeld zu leben und in ihr wächst der Wunsch Abstand zu dem Mitleid der Gemeinschaft zu gewinnen.
Eine Gelegenheit bietet da die Reise ihrer Schwester in die Neue Welt. Grace will in Ohio einen Mann ehelichen, der aus der Gemeinschaft fortgegangen ist, um ein neues Leben in Amerika zu beginnen. Dort will sie mit ihm eine Familie gründen und seinen Kurzwarenladen führen. Honor schließt sich der Schwester an. Bereits bei der Ankunft weiß sie, dass sie die Seekrankheit einer Reise nicht noch einmal überstehen wird. Der Weg in die Heimat ist ihr für immer versperrt und Amerika erweist sich nicht als das, was Honor erwartet hat, als sie plötzlich allein und verlassen überlegen muss, ob sie sich den Sitten der Amerikaner anpasst oder doch lieber ihrem Glauben und vor allem ihrem Herzen treu bleiben soll.
Nach den Büchern von Tracy Chevalier greife ich schon eine ganze Weile nicht mehr, weil sie hübsch aussehen, sondern weil ich weiß, dass sich hinter den Seiten eine berührende Geschichte verbirgt, die gut recherchiert ist. Mit "Das Mädchen mit dem Perlenohrring" hat mich die Autorin geködert und dann mit ihren anderen Werken weiter von sich überzeugt.
Trotzdem ist die Umschlaggestaltung dem Verlag sehr gut gelungen. Er zeigt treffend die Landschaft von Ohio, in die Honor hineinkommt. Die blaue Haube hebt sich gut ab und steht zugleich für den Glauben der Protagonistin. Das Buch mag zwischen den bunten Bildern und schicken Frauen auf anderen historischen Romanen vielleicht etwas unscheinbar wirken, doch es verkörpert dafür die Protagonistin und auch die Geschichte, die sich zwischen diesem Umschlag verbirgt.
Aus den anderen Büchern der Autorin bin ich ihre Kunst gewohnt einzigartige Figuren zu erdenken und ihnen Leben einzuhauchen. Dies tut sie auch in "Die englische Freundin" mit äußerster Sorgfalt. Ich kannte mich vorher wenig mit den Sitten und Gebräuchen der Quäker aus, doch das Handeln und Denken von Honor wirkt authentisch und zugleich auch nachvollziehbar. Auch die Nebenfiguren werden mit nicht weniger Aufwand zum Leben erweckt. Jeder hat seine Eigenheiten und seine ganz eigenen Charakterzüge, die ihn in die Geschichte einpassen und entsprechend handeln lassen. Es gibt keine plötzlichen Änderungen der Meinung, nur um eine schönere Liebesgeschichte zu spinnen oder die Protagonistin als Heldin darzustellen. Sie handelt realistisch, menschlich. Die Beschreibung der einzelnen auftretenden Personen bleibt knapp und doch kann man durch ihr Handeln ein sehr gutes Bild von ihnen bekommen, das auch durchgängig realistisch weiterentwickelt wird.
Wer auf der Suche nach einer spannenden Geschichte voller Handlung ist, der sollte allerdings die Finger lieber von dem Buch lassen. Allerdings empfand ich das bei allen Werken der Autorin so. Die Geschichte geht oft nur Häppchenweise voran, was aber dem Detail und Gefühl, das Tracy Chevalier in ihre Handlung legt, keinen Abbruch tut. Mir gefällt das langsame Voranschreiten und oftmals auch auf der Stelle tappende Erzählen. Es passt zu dem, was die Protagonistin in diesem Buch tut. Sie entwickelt sich weiter, ganz langsam nur, und tappt doch auch auf der Stelle und kommt in ihrer Entwicklung nicht weiter, weil ihr Steine in den Weg gelegt werden, oder sie einfach zu sehr an ihrem Glauben oder an der Furcht festhält allein zu sein. Die Geschichte zieht sich Schlüssig vom Beginn der Reise bis zu dem Punkt, an dem Honor endlich den Mut findet ihre eigenen Entschlüsse zu fassen und ihr eigenes Leben zu beginnen.
Dieses Leben ist nicht actiongeladen, aber auch nicht langweilig. Als Leser erlebt man eben jedes Stück davon mit und das kann nicht immer spannend und rasch verlaufen. Entwicklungen brauchen ihre Zeit und Tracy Chevalier gibt ihnen diese Zeit auf den Seiten, die vielleicht nicht voller Handlung stecken, dafür aber viel über die Taten und das Denken ihrer Charaktere verraten.
Sie schafft mit Honor eine starke Persönlichkeit, die erst zu der Stärke finden muss, die sie schon von Anfang an besitzt. Sie muss sich in ein neues Leben eingewöhnen und der Leser begleitet sie dabei, leidet vielleicht sogar mit ihr. Es ist keine Geschichte über die Heldentaten einer Frau im ausgehenden 19. Jahrhundert, doch wie viele von diesen Heldinnen gab es schließlich auch? Es ist der realistische Lebensweg einer Quäkerin, den die Autorin nachzeichnet und ihn mit Gefühl statt mit unpassenden Taten füllt. Deshalb sind die Werke von Tracy Chevalier für mich immer etwas ganz Besonderes.
Sie schafft es trotz allem ein tiefes Mitgefühl zu erzeugen, sogar für die Personen in der Geschichte, die solches wegen ihrer Handlungen nicht zwingend verdienen. Dazu braucht sie nicht viele Worte oder große Taten. Das einfache Leben und die Lebensumstände der Protagonistin reichen vollkommen aus. Die Autorin beschreibt die Gefühle Honors so realistisch, dass zumindest ich sie sehr gut nachempfinden konnte. Wenn Honor sich eingeengt fühlt zwischen ihrer Familie, weil der Schnee bis zu den Fenstern reicht, die Angst zu verhungern, weil die Vorräte jeden Tag kleiner werden. Alles das sind Empfindungen, die einem selbst vielleicht sogar vertraut sind und so eine Verbundenheit zur Protagonistin aufbauen.
Insgesamt ist die Geschichte ein gelungener historischer Roman, der allerdings keine großläufigen und actionreichen Handlungsstränge enthält, sondern schlicht das Leben einer Quäkerin nachzeichnet, die ihre Heimat hinter sich lässt, um neu anzufangen. Wer andere Bücher von Tracy Chevalier mochte, wird dieses sicher auch gern lesen und verstehen was ich meine. Wer allerdings nach einer Protagonistin sucht, die die Welt in einer Zeit verändert, in der es schwer war etwas zu verändern, sollte lieber die Finger von dem Buch lassen. Auch wer auf der Suche nach einem Happy End ist wird sicherlich am Ende enttäuscht sein. trotzdem lohnt es sich Zeit für dieses Buch zu investieren, weil es so herrlich realistisch bleibt.
Aussehen: ♥♥♥♥
Charaktere: ♥♥♥♥
Spannung: ♥♥Charaktere: ♥♥♥♥
Schlüssigkeit: ♥♥♥♥♥
Originalität: ♥♥♥♥
Emotionale Tiefe: ♥♥♥♥
Schreibstil: ♥♥♥♥
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