BR - Ferdinand von Schirach - Der Fall Collini




 Titel: Der Fall Collini
 Reihe: Keine
 Autor: Ferdinand von Schirach
 Genre: Kriminalerzählung
 Verlag: Piper
 ISBN: 978-3492054751
 Seitenzahl: 204 Seiten
 Preis: 16,99 €







Er legte den Text auf das Stehpult. Als er zu lesen begann, wusste er, dass er heute seine Kindheit zerstören würde und dass Johanna nicht mehr zurückkäme. Und dass all das keine Rolle spielte.

Vierunddreißig Jahre hat der Italiener Fabrizio Collini als Werkzeugmacher bei Mercedes-Benz gearbeitet. Unauffällig und unbescholten. Und dann ermordet er in einem Berliner Luxushotel einen alten Mann. Grundlos, wie es scheint. Der junge Anwalt Caspar Leinen bekommt die Pflichtverteidigung in diesem Fall zugewiesen. Was für ihn zunächst wie eine vielversprechende Karrierechance aussieht, wird zu einem Alptraum, als er erfährt, wer das Mordopfer ist: Der Tote, ein angesehener deutscher Industrieller, ist der Großvater seines besten Freundes. In Leinens Erinnerung ein freundlicher, warmherziger Mensch. Wieder und wieder versucht er die Tat zu verstehen. Vergeblich, denn Collini gesteht zwar den Mord, aber zu seinem Motiv schweigt er. Und so muss Leinen einen Mann verteidigen, der nicht verteidigt werden will. Ein zunächst aussichtsloses Unterfangen, aber schließlich stößt er auf eine Spur, die weit hinausgeht über den Fall Collini und Leinen mitten hineinführt in ein erschreckendes Kapitel deutscher Justizgeschichte.

Ich habe zuvur bereits die beiden Geschichtensammlungen "Verbrechen" und "Schuld" von Ferdinand von Schirach gelesen, mich aber lange um dieses Buch herumgedrückt. an den anderen Büchern gefiel mit eben die Tatsache, dass es knapp zusammengestellt die seltsamen Fälle eines Anwalts waren, die vorgestellt wurden. Ich konnte mir nicht wirklich vorstellen, dass ich auch Spaß einem Buch zu einem einzigen Fall haben würde. Doch nach so langer Zeit habe ich mich nun endlich dazu durchgerungen und war sehr positiv überrascht von "Der Fall Collini".
Das Cover passt mit dem hellen Hintergrund und der Person, die nur von hinten zu sehen ist, auf jeden Fall zu den beiden Vorgängern und macht deutlich erkenntlich, um welchen Autor es sich handelt. Das gefällt mir immer besonders gut, wenn gleich zu erkennen ist, was man da vor sich hat. Zwar fällt das Buch zwischen all den anderen Krimis und Thrillern, mit blutründtigen Covern und dunklen Farben, vielleicht nicht gleich ins Auge, doch es passt dafür zum Buch.
Ferdinand von Schirach schafft für diese Erzählung sehr individuelle Figuren, die er in dem schmalen Handlungsrahmen agieren lässt. Sein Protagonist, Caspar Leinen, ist ein junger Anwalt, dem durchaus noch die Furcht anzumerken ist, das erste Mal eben nicht mehr in einem Hörsaal zu sitzen, sondern einen echten Prozess mitzumachen. Er möchte möglichst nichts falsch machen und seinen Mandanten verteidigen. Eben dieser Mandant macht es seinem Anwalt alles andere als leicht. Fabrizio Collini lebt seit langer Zeit in Deutschland und hat sich nie etwas zu Schulden kommen lassen. Sofort gesteht er den Mord, der ihm ohnehin recht sicher nachgewiesen werden konnte, doch über das Motiv schweigt er sich aus und macht so eine Verteidigung vor Gericht nahezu unmöglich.
Genau darum soll es in dem Buch dann gehen. Das Motiv für den Mord zu finden, der Leinen, wie er später erfährt, auch sehr persönlich betrifft, immerhin ist das Opfer der Großvater seines alten Schulfreundes. Es gelingt Schirach sehr gut den Zwiespalt des Anwalts darzustellen, der zuerst noch versucht das Mandat niederzulegen und schließlich doch vollen Einsatz zeigt, um die Wahrheit ans Licht zu bringen. Mein gewähltes Zitat zeigt dies wohl auch recht gut.
Zusätzlich zu diesen beiden Personen, gibt es natürlich noch den Staatsanwalt, der eher im Hintergrund bleibt und einen recht klischeebehafteten Anwalt der Nebenklage. Mit Mattinger hat Schirach einen Staranwalt geschaffen, der sich im Licht der Öffentlichkeit sonnt und entsprechend unsymphatisch wirkt. Während man also diesen Mann schmierig findet, habe ich zumindest mit Johanna, der Enkelin des Mordopfers, sehr mitgefühlt, die durch ihren Kindheitsfreund Leinen in einen Zwiespalt gestürzt wird, der sehr gut nachvollzogen wurde.
Auch wenn es dem Autor sicher nicht in erster Linie um Spannung ging, immerhin ist es eine Erzählung und kein actiongeladener Thriller, sind die Wendungen der Geschichte doch geschickt platziert und erhalten einen gewissen Spannungsbogen aufrecht, der auch dafür sorgt, dass man weiter lesen möchte. Bis zum Ende des Buches bleiben alle auf der Suche nach dem Motiv und selbst, als dies dann gefunden ist, sind die beiden Anwälte noch nicht miteinander fertig. Der Ballwechsel im Gerichtssaal sorgt für ein spannendes Finale, das schließlich durch eine unerwartete Wendung das Ende der Geschichte herbeiführt, das mir etwas abrupt erschien, aber durchaus passend war.
Die Geschichte wird schlüssig erzählt und wirkt, zumindest für mich als juristischen Laien, gut recherchiert und präsentiert. Es kommt zwar innerhalb der Handlung zu durchaus emotionalen Situationen, doch es ging Schirach deutlich darum den Handlungsverlauf voranzutreiben und die Tat, sowie die Verhandlung und das Motiv, sachlich zu beschreiben. Entsprechend bleiben emotionale Momente eher kurz und selbst die enge Bindung zwischen Caspar und Johanna wird eher sachlich beschrieben. Emotionalität wird hier vor allem durch das geschickte Vorgehen der Anwälte erzeugt.
Den Schreibstil kannte ich ja bereits aus den beiden anderen Büchern und auch wenn es nicht um große Gefühle oder Spannung geht, empfinde ich die knappen Kapitel und die sachliche Erzählweise als sehr erfrischend und leicht lesbar. Ohne dass man es wirklich bemerkt, taucht man in die Geschichte ein und wird von ihr auch nach dem Ende des Buches nicht wieder losgelassen. Gerade weil es auch um ein sehr heikles Thema geht und man sich selbst die Frage stellt, wie ein solches Vorgehen jemals wirklich möglich und auch noch rechtlich erlaubt sein konnte, denkt man nach dem Ende noch lange darüber nach.

Für mich war das Buch vielleicht nicht ganz so gut, wie die beiden Vorgänger, gerade weil die eben mehrere Geschichten und Einblicke geboten haben, doch "Der Fall Collini" war wirklich eine lohnende Geschichte, mit viel Potenzial zum Nachdenken und Wundern, die sich zu lesen lohnt.

Aussehen: ♥♥♥
Charaktere: ♥♥♥♥
Spannung: ♥♥
Schlüssigkeit: ♥♥♥♥♥
Emotionale Tiefe: ♥♥
Schreibstil: ♥♥♥♥♥
 

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