BR - Erna Sassen - Das hier ist kein Tagebuch




 Titel: Das hier ist kein Tagebuch
 Reihe: -
 Autor: Erna Sassen
 Genre: Jugendbuch ab 14 Jahren
 Verlag: Freies Geistesleben
 ISBN: 978-3-7725-2861-3
 Seitenzahl: 183 Seiten
 Preis: 17,90€










Mein Vater stand auf und schlug mir knallhart ins Gesicht. Das bereut er bis zum heutigen Tag. Mir war es egal. [...]
Ich verstand sehr gut, dass der Schlag ins Gesicht eigentlich meiner Mutter gegolten hatte.


Eigentlich braucht Boudewijn dieses dumme Heft nicht, das sein Vater ihm gegeben hat. Was soll es schon bringen, wenn er jeden Tag aufschreibt, was er tut - Nichts. Und wenn er formuliert, was er fühlt - Noch mehr Nichts. In ihm ist nichts als Leere und Müdigkeit, denn entgegen der Meinung seines Vaters, ist Müdigkeit ein alles umfassendes Gefühl, das ihn verschlingt und nie wieder loslassen wird.
Doch da ist dieses Ultimatum und so sehr der Junge auch glaubt, dass ihm alles egal ist, so kann er doch nicht mit dem Gedanken leben in eine Anstalt gesteckt zu werden. Also setzt er sich hin und schreibt auf, welche der Lieder, die sein Vater ausgesucht hat, er hört und was ihm sonst in den Sinn kommt. Aber es ist kein Tagebuch. Viel mehr ist es der tiefe Abgrund einer zu tiefst verwundeten Seele, die noch immer verzweifelt versucht zu verstehen, wieso eine Mutter ihre Kinder einfach so im Stich lassen kann.

Ich habe lange Zeit gedacht, dass mich wohl nie wieder ein Buch so sehr privat berühren würde, wie "Das Schicksal ist ein mieser Verräter", doch ich habe mich geirrt. Schon als meine Dozentin das Buch im Unterricht erwähnte und ich schließlich einige Zeilen in der Klasse vorlas, wusste ich, dass ich dieses Buch lesen musste. Es ließ mich schon da nicht mehr los und auch letzte Nacht nicht,als ich die 183 Seiten am Stück verschlungen habe.
Wenngleich der junge Niederländer etwas vollkommen anderes durchgemacht hat, als ich selbst, so führt es dennoch zur gleichen Konsequenz: Seine Mutter ist nicht mehr da. Nur zu gut konnte ich die Gefühle des Jungen nachempfinden und spürte bei mir selbst den gleichen Zorn pochen und dennoch auch die Trauer erneut wachsen.
Das liegt nicht einzig an der traurigen Geschichte, die Erna Sassen mit ihrem Buch erzählt. Sie schafft es eine gut recherchierte Erzählung zu liefern. Das Verhalten der Mutter ist realistisch geschildert und das ist in einem solchen Buch ganz besonders wichtig. Obwohl der Protagonist kein wirkliches Tagebuch schreibt und die Geschichte sehr sprunghaft erzählt wird, kann man ihr stets folgen, immer wieder tauchen neue Informationen auf, die sich in ein großes Puzzle zusammenfügen, das erst das ganze Ausmaß des tragischen Lebens zeigen, das ein so junger Mensch bereits hinter sich hat.
Der Schreibstil wirkt ungemein authentisch. Die Gefühle sind so zutreffend, dass ich mich selbst erschreckt habe, wie sehr ich mich in dem Jungen wiederfinden konnte. Auch in mir war und ist Zorn und Bou bringt diesen erschreckend offen und auch brutal auf den Punkt. Sein Ausdruck ist dabei durchaus derb, doch genau das macht den Realismus des Werkes aus. 
Es brauchte keine große Liebe und auch kein Happy-End, um dieses Buch zu einer großartigen Geschichte zu machen. Das, was Bou denkt, obwohl er nicht fühlt und auch nichts tut, reicht aus, um einen erschreckenden, aber auch notwendigen Blick in das Schicksal eines jungen Menschen zu werfen, der so viel erdulden musste und der doch lieber noch mehr erduldet hätte, als seine Mutter zu verlieren - der vielleicht gerade dadurch auch immer noch leidet und für immer leiden wird.
Dennoch bietet das Buch auch einen Ausweg aus der Depression und der Einsamkeit, vor der sich Bou eigentlich fürchtet. Es zeigt Hoffnung und neue Wege und wie Menschen und Zusammenhalt einem helfen können, eine solche Zeit zu überstehen. Nicht ohne Schaden, aber doch vielleicht ein bisschen stärker.

Vielleicht ist dieses Buch kein Buch für jedermann, auch wenn ich finde, dass wirklich jeder etwas aus dieser Geschichte mitnehmen kann. Es ist gleich zweimal für den Deutschen Jugendliteraturpreis nominiert und das zu Recht. Die Jugendlichen haben es sich selbst ausgesucht und ich finde, das zeigt sehr gut, dass das Thema Verlust, Depression, Wut und Trauer wichtig ist.
Die Geschichte ist berührend und zugleich erschreckend, weist eine gewisse Situationskomik auf, die doch nicht unpassend wirkt und schafft es einem die Tränen in die Augen zu treiben. Doch wenn man die letzte Seite gelesen hat, dann ist es keine bloße Traurigkeit, die bleibt, sondern es ist eine Art Reinigung und auch das Wissen, dass es einen Ausweg und Hoffnung gibt, auch wenn der Mensch nie zurückkommen wird, den man verloren hat.
Für mich das berührenste Buch des Jahres, das so viel mehr ist als eine Geschichte.


Aussehen: ♥♥♥♥
 Spannung: ♥♥♥♥
 Schlüssigkeit: ♥♥♥♥♥
 Emotionale Tiefe: ♥♥♥♥♥
 Schreibstil: ♥♥♥♥♥









Keine Kommentare :

Kommentar veröffentlichen

Related Posts Plugin for WordPress, Blogger...