BR - Carolly Erickson - Die Lilie von Versailles




 Titel: Die Lilie von Versailles
 Reihe: -
 Autor: Carolly Erickson
 Genre: Historischer Roman
 Verlag: Fischer
 Seitenzahl: 430 Seiten
 Preis: 8,95€








"Meiner Theorie nach werden einige Menschen vom Schicksal in Positionen gedrängt, für die sie von der Geburt her nie bestimmt waren. Solche Menschen sind dazu verdammt, das ihnen aufgehalste Schicksal niemals zu erfüllen. Es ist eine Tragödie, wirklich, wenn das geschieht. Eine Tragödie, die der Feder des großen Racine wert wäre."

Die Gefangene Nummer 280, genannt Witwe Capet, wartet in einer Zelle auf ihr Urteil. Sie schreibt einige letzte Zeilen in ihr Tagebuch, das die Geschichte ihres Lebens erzählt. Die Geschichte von Erzherzogin Maria Antonia von Österreich, die noch sehr jung an den Dauphin Frankreichs verheiratet wurde. Die Geschichte von Königin Marie Antoinette, die vom Hof und vom Volk gleichermaßen geliebt wie gehasst wird. Die trotz ihrer jungen Jahre viele wichtige Regierungsentscheidungen für ihren Mann trifft, der die Politik scheut, die in Prunk und Leichtsinn gelebt und gefeiert und in dem schwedischen Grafen Axel von Fersen die große Liebe gefunden hat. Und der die gewaltsame, blutige Revolution alles genommen hat. Während sie auf die Guillotine wartet, will sie mit diesem für ihre Kinder bestimmten Tagebuch in eigenen Worten Zeugnis ablegen über ihr Leben und die Person, die sie wirklich war.

Marie Antoinette - es gibt kaum eine umstrittenere Person in der französischen Geschichte als "das österreichische Weibsbild". Für die einen ist sie bis heute das Gesicht gedankenloser Dekadenz in Reinform, für andere ist sie ein bedauernswertes Opfer der Umstände ihrer Zeit. Wer sie wirklich war wird heute kaum noch jemand wirklich ergründen können, aber Carolly Erickson versucht dieser legendären Frauengestalt des 18. Jahrhunderts eine Stimme zu geben.
Und das tut sie natürlich auf die nahe liegendste Weise: Sie lässt Marie Antoinette selbst ihre Geschichte erzählen und zwar in Form von mal mehr, mal weniger regelmäßigen Tagebucheinträgen. Manche bestehen nur aus wenigen Teilen, andere nehmen ein paar Seiten in Anspruch, aber diese Tagebuchform sorgt dafür, dass man wirklich gut und flüssig durchs Buch kommt und auch perfekt kleinere Pausen zwischendurch einlegen kann, ohne mitten im Text den Faden zu verlieren. Das Tagebuch beginnt am Wiener Hof, wo Marie Antoinettes Beichtvater sie dazu nötigt, all ihre Sünden in Schriftform in einem Tagebuch festzuhalten. Was eigentlich nur ein kleiner Denkzettel für eine lebhafte, aufgeweckte kleine Erzherzogin sein sollte, begleitet Marie Antoinette auf ihrem Weg an den französischen Hof, während ihrer Zeit als Dauphine und später Königin von Frankreich bis hin zum Umsturz durch das Revolutionstribunal. Manchmal leidet man richtig mit ihr, denn zum Beispiel der Druck einen Thronfolger zur Welt zu bringen, ist immens und sie hat wenig Einfluss darauf, wenn ihr Mann sie nachts nicht aufsucht oder das erste, endlich empfangene Kind ein Mädchen ist. Dann wieder folgen ganze Tagebucheinträge nur über neue Farben und Modekreationen, die sie bei Hofe eingeführt hat, während man ringsherum eigentlich mitbekommt, dass die politische Situation sich zusehends anspannt, und man fragt sich: versucht sie sich abzulenken oder kümmert es sie einfach nicht? Carolly Erickson gelingt es also trotz der subjektiven Erzählperspektive Marie Antoinettes beide Seiten der Medaille einfließen zu lassen. Die egozentrische, dekadente Königin und die liebende Mutter, kluge Regentin im Hintergrund und aufrichtig besorgte Geliebte. Manchmal mag man sie, manchmal ist sie einfach unsympathisch.
Die Autorin erzählt hier nicht haarklein jedes historische Detail wahrheitsgetreu nach. Zum Beispiel schickt sie Marie Antoinette in ihrem Buch auf eine Reise nach Schweden, für die es historisch nicht einmal winzige Anhaltspunkte gibt. Auch ist die Liebschaft mit Graf Axel von Fersen umstritten - waren sie wirklich ein Liebespaar oder nicht? Aber Carolly Erickson hält in ihrer Nachbemerkung auch fest, dass sie einen Roman schreiben wollte, keine Abhandlung über Marie Antoinettes Leben und von diesem Standpunkt aus betrachtet sind diese kleinen "Unwahrheiten" durchaus der Story förderlich.

Ein nicht besonders tiefgreifender, dafür aber schön zu lesender und unterhaltsamer historischer Roman über das Leben und Sterben der schillernden Marie Antoinette. Für Liebhaber dieser Zeit empfehlenswert, aber man darf zu keinem Zeitpunkt mit dem Anspruch historischer Authentizität an diese Geschichte heran gehen. Von mir gibt es dafür vier Blümchen.


Aussehen: ♥♥♥♥♥
 Charaktere: ♥♥♥♥
 Spannung: ♥♥♥♥
 Schlüssigkeit: ♥♥♥♥
 Emotionale Tiefe: ♥♥♥
 Schreibstil: ♥♥♥♥



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