Titel: Distel und Rose
Reihe: -
Autor: Julia Kröhn
Genre: Historischer Roman
Verlag: Bastei Lübbe
Seitenzahl: 574 Seiten
Preis: 10,00€
"Ich weiß nicht, wann die größten Lügen erzählt werden - ob in Zeiten des Krieges, wenn die Menschen behaupten, sie würden die Waffen sinken lassen, sobald der böse Feind besiegt sei, oder in Zeiten des Friedens, wenn jeder beteuert, wie viel ihm an diesem Frieden liegt und dass nur der böse Nachbar ein Interesse habe ihn zu brechen. Wie auch immer: Männer schwingen gerne Schwerter, und das Erste, was blutend unter ihren Klingen fällt, ist meist die Wahrheit."
Die junge Engländerin Magdalene weiß nicht ein noch aus. Ihr Vater schickt sie in die schottischen Highlands, um dort Lord David MacBrannan zu heiraten. So unerwartet schön und wild sie die raue Natur der Highlands erlebt, so gefangen fühlt sie sich in der kalten Ehe mit David eingeengt. Kleine Besuche in einem der umliegenden Dörfer, bei denen sie den Rebellen Sèoras kennen lernt, dienen ihr ebenso als Flucht aus dem grauen Alltag wie die geheimnisvollen Pergamentseiten, die ihr jemand in die Bibliothek legt und die die Geschichte der jungen Aelswith rund 700 Jahre zuvor erzählen, die auf der Suche nach ihrer Herkunft und Identität nicht nur die große Liebe findet, sondern auch viel Schmerz und Leid. Auch Magdalene muss sich darüber klar werden, wer sie ist: Lady MacBrannan, die Geliebte eines Rebellen oder doch ganz einfach nur Magdalene?
Ein historischer Roman aus den schottischen Highlands, da konnte ich einfach nicht dran vorbei gehen. Die Geschichte spielt sich auf zwei Zeitebenen ab, einmal Ende des 18. Jahrhunderts bei Magdalene, zum anderen bei Aelswith und ihrem Begleiter Taraín, die der hartnäckigen Legende auf den Grund gehen wollen, dass der vermeintlich kinderlos verstorbene "Rote König" MacBeth doch eine Nachkommin gehabt haben soll: Aelswith. Die Kapitel wechseln zwischen den Zeiten, sind aber trotzdem schön miteinander verbunden, denn die Aelswith-Kapitel kommen immer dann, wenn Magdalene in der Bibliothek ihres Mannes eine neue Pergamentseite findet und die Geschichte weiter verfolgen kann. Eine Geschichte in der Geschichte sozusagen, bei der man als Leser genauso gespannt wie Magdalene ist, wie es weiter geht.
Ein zentrales Motiv des Romans ist in beiden Geschichten MacBeth. Die einen verdammen ihn als blutrünstigen Wahnsinnigen, die anderen feiern ihn als eine Art Retter Schottlands, der noch so viel mehr für das von den Engländern gebeutelte Land hätte erreichen können. Mir hat diese neue Beleuchtung der MacBeth-Legende sehr gut gefallen, einfach weil Julia Kröhn hier wunderbar mit der altbekannten Weisheit spielt, dass jede Medaille zwei Seiten hat.
Die Figuren, die Julia Kröhn ihre Geschichte tragen lässt, haben gut durchdacht, authentisch und zum Glück auch sehr unterschiedlich gewirkt: die freiheitsliebende Magdalene, die in ihrer Jugend viele Freiheiten genossen hat und sich von ihrem Mann eingesperrt und unverstanden fühlt, gleichzeitig aber auch nicht weiß, wie sie sich befreien soll. David, der sehr nüchtern, manchmal geradezu kalt rüberkommt und vermeintlich harte, unmenschliche Entscheidungen trifft, die doch eigentlich einem guten Gedanken entspringen. Magdalenes Schwager Caelan, der gerade aus Indien zurückgekehrt ist und in seinen bunten Kleidern nicht nur extravagant und exotisch wirkt, sondern auch den Ruf eines gedankenlosen, humorvollen Haudegens weg hat, hinter dem niemand das Geheimnis vermutet, das sich Magdalene erst spät offenbart. Sèoras, der hartnäckige, unnachgiebige Highlander, der für sein Dorf und seine Leute eintritt und sich traut, Lord MacBrannan die Stirn zu bieten. Aelswith, die ihre Reise als unbedarftes, lebens- und abenteuerlustiges Mädchen beginnt, das mit der tiefen Verunsicherung zu kämpfen hat plötzlich nicht mehr zu wissen wo es her kommt. Taraín, ein Waisenjunge, der mit einem Wundarzt durch's Land gereist ist und als die gute Seele die er ist immer nur ein Interesse hat: anderen zu helfen. Aber auch die Nebencharaktere, wie etwa Sèoras zynische, manchmal sehr hart und gemein wirkende Schwester Adra, das abergläubische, naive Dienstmädchen Peigi, Magdalenes aufdringliche, überfürsorgliche Zofe oder Bruder Nynias, der draufgängerische Mönch, ein Berg von einem Mann, der Aelswith auf ihrem Weg begleitet, waren liebenswert, manchmal unerträglich, aber in jedem Fall erinnerungswürdig.
Nicht nur, dass mich dieser historische Roman in die Vergangenheit meines Lieblingslandes entführt und mir viele dortige Legenden und Geschichten näher gebracht hat, "Distel und Rose" weiß auch mit einem Ende zu überraschen, das ich gerade im Bezug auf Magdalenes Neigungen und Glück nicht vermutet hätte. Fünf Blümchen für ein Buch, das mir noch lange in Erinnerung bleiben wird!