Titel: Kindeswohl
Reihe: -
Autor: Ian McEwan
Genre: Roman
Verlag: Diogenes
ISBN: 978-3-257-06916-7
Seitenzahl: 222 Seiten
Preis: 21,90€
Religionen, moralische Prinzipien, auch ihre eigenen, waren wie Gipfel in einem dichtgefügten Gebirgszug aus großer Entfernung gesehen: keiner eindeutig höher, wichtiger, wahrer als die anderen.
Fiona glaubt kaum, was ihr Mann ihr vorschlägt: er will ihren Segen für eine Affäre mit einer anderen Frau. Seit dreißig Jahren sind sie verheiratet und jetzt, kurz vor der sechzig stehend, will Jack noch einmal jenes leidenschaftliche Feuer spüren, das er in letzter Zeit im Schlafzimmer vermisst hat. Er will Fiona nicht verlassen, sagt er, aber er habe seine Entscheidung getroffen und werde diese Affäre beginnen. Nachdem sie ihn aus der gemeinsamen Wohnung geworfen hat, tut Fiona das, was sie schon immer am besten konnte: sie stürzt sich in ihre Arbeit als Familienrichterin. Und gerade jetzt kommt ein brisanter Fall auf ihren Tisch, ein Fall, in dem es um Leben und Tod geht. Der siebzehnjährige Adam Henry ist an Leukämie erkrankt, verweigert aber als Zeuge Jehovas die rettenden Bluttranfusionen. Fiona muss ihre eigenen Probleme hinten anstellen und entscheiden, ob sie einem beinahe mündigen jungen Menschen etwas gegen seinen Glauben aufzwingen oder ihn für seinen Glauben sterben lassen darf.
Wie weit darf Religionsfreiheit gehen? Eine heikle, sehr schwierige Frage - und mit genau dieser Frage muss sich die Protagonistin von Ian McEwans Roman auseinander setzen. Das Krankenhaus, in dem sich Adam in Behandlung befindet, klagt vor dem Familiengericht darauf, entgegen des Willens der Eltern und des Jungen die lebensrettende Behandlung anzuordnen, während Adam und seine Eltern steif darauf beharren, dass sie sein Leben nicht durch etwas verlängern wollen, das gegen ihren Glauben verstößt. Als Atheist kann man jetzt leicht sagen: Gut gegen Böse, Vernunft gegen Irrsinn. Aber so leicht macht Ian McEwan es sich nicht. In der Verhandlung lässt er nicht nur die Ärzte zu Wort kommen, die natürlich die medizinische Notwendigkeit und Rationalität ihrer Behandlung unterstreichen, sondern auch Adams Eltern. Man merkt, dass sie die Krankheit ihres Sohnes mitnimmt und der Gedanke ihn zu verlieren sie tief traurig stimmt. Und trotzdem scheint ihr Glaube so tief verwurzelt zu sein, dass sie dieses Schicksal zu akzeptieren bereit sind. Feinfühlig geht Fiona dann auch der Frage auf den Grund, ob Adam nur die Worte seiner Eltern nachplappert oder wirklich von dem überzeugt ist, was er sagt, nämlich dass er bereit ist für seinen Glauben zu sterben. In all dem findet McEwan genau das richtige Maß zwischen schonungsloser Ehrlichkeit und dem Fingerspitzengefühl, das diese Thematik verdient.
Darüber hinaus ist Fiona eine überaus sympathische, wenn auch ungewöhnliche Protagonistin. Ich habe bisher wenige Bücher gelesen, in denen eine fast sechzigjährige Frau im Mittelpunkt stand. Im Beruf ist sie unheimlich erfolgreich, aber dafür ist privat vieles auf der Strecke geblieben. Und jetzt, im Herbst des Lebens, erlebt sie diese böse Überraschung mit ihrem Mann, den sie zu kennen geglaubt hat und der plötzlich aus dem Nichts eine Affäre mit einer Jüngeren anfangen will, nur um sich noch einmal jung zu fühlen. Jack sagt an einer Stelle, dass er Fiona mittlerweile mehr wie eine Schwester liebe. Ein herber Schlag für sie. Auch wenn mich persönlich mehr Adams Fall und die daraus resultierende Entscheidung interessiert hat, waren auch diese Schwierigkeiten, denen sich ein gemeinsam alterndes Paar plötzlich gegenüber sieht, nachfühlbar beschrieben.
Einen merklichen Punkteabzug gibt es für das Cover. Nicht, weil ich das Bild furchtbar fände, aber mir sagt einfach generell die Gestaltung der Bücher des Diogenes Verlags nicht zu. Ich finde sie einfach unattraktiv gestaltet - obwohl das natürlich nichts am Inhalt des Buches ändert.
Wie weit darf Religionsfreiheit gehen? Eine heikle, sehr schwierige Frage - und mit genau dieser Frage muss sich die Protagonistin von Ian McEwans Roman auseinander setzen. Das Krankenhaus, in dem sich Adam in Behandlung befindet, klagt vor dem Familiengericht darauf, entgegen des Willens der Eltern und des Jungen die lebensrettende Behandlung anzuordnen, während Adam und seine Eltern steif darauf beharren, dass sie sein Leben nicht durch etwas verlängern wollen, das gegen ihren Glauben verstößt. Als Atheist kann man jetzt leicht sagen: Gut gegen Böse, Vernunft gegen Irrsinn. Aber so leicht macht Ian McEwan es sich nicht. In der Verhandlung lässt er nicht nur die Ärzte zu Wort kommen, die natürlich die medizinische Notwendigkeit und Rationalität ihrer Behandlung unterstreichen, sondern auch Adams Eltern. Man merkt, dass sie die Krankheit ihres Sohnes mitnimmt und der Gedanke ihn zu verlieren sie tief traurig stimmt. Und trotzdem scheint ihr Glaube so tief verwurzelt zu sein, dass sie dieses Schicksal zu akzeptieren bereit sind. Feinfühlig geht Fiona dann auch der Frage auf den Grund, ob Adam nur die Worte seiner Eltern nachplappert oder wirklich von dem überzeugt ist, was er sagt, nämlich dass er bereit ist für seinen Glauben zu sterben. In all dem findet McEwan genau das richtige Maß zwischen schonungsloser Ehrlichkeit und dem Fingerspitzengefühl, das diese Thematik verdient.
Darüber hinaus ist Fiona eine überaus sympathische, wenn auch ungewöhnliche Protagonistin. Ich habe bisher wenige Bücher gelesen, in denen eine fast sechzigjährige Frau im Mittelpunkt stand. Im Beruf ist sie unheimlich erfolgreich, aber dafür ist privat vieles auf der Strecke geblieben. Und jetzt, im Herbst des Lebens, erlebt sie diese böse Überraschung mit ihrem Mann, den sie zu kennen geglaubt hat und der plötzlich aus dem Nichts eine Affäre mit einer Jüngeren anfangen will, nur um sich noch einmal jung zu fühlen. Jack sagt an einer Stelle, dass er Fiona mittlerweile mehr wie eine Schwester liebe. Ein herber Schlag für sie. Auch wenn mich persönlich mehr Adams Fall und die daraus resultierende Entscheidung interessiert hat, waren auch diese Schwierigkeiten, denen sich ein gemeinsam alterndes Paar plötzlich gegenüber sieht, nachfühlbar beschrieben.
Einen merklichen Punkteabzug gibt es für das Cover. Nicht, weil ich das Bild furchtbar fände, aber mir sagt einfach generell die Gestaltung der Bücher des Diogenes Verlags nicht zu. Ich finde sie einfach unattraktiv gestaltet - obwohl das natürlich nichts am Inhalt des Buches ändert.
"Kindeswohl" ist ein kurzer, aber thematisch einfach aktueller und wichtiger Roman, wie ich finde. Nicht ganz einfach zum gedankenlosen Runterlesen, aber wenn man sich ein bisschen Zeit und Ruhe dafür nimmt auf jeden Fall eine Bereicherung. Vier Blümchen!
Aussehen: ♥♥♥
Charaktere: ♥♥♥♥
Spannung: ♥♥♥♥
Schlüssigkeit: ♥♥♥♥
Emotionale Tiefe: ♥♥♥♥
Schreibstil: ♥♥♥♥
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