BR - Lyndsay Faye - Der Teufel von New York







Broschiert
Erschienen am: 01. März 2014
Verlag: Deutscher Taschenbuch Verlag
ISBN: 978-3423249935
Seitenzahl: 480 Seiten
Preis: 15,90€







Ich suche nach mir selbst in ihren Worten. In den Zwischenräumen zwischen dem Endpunkt und dem nächsten Großbuchstaben. Aber sie versteckt mich natürlich. Sie sperrt mich in Metaphern ein, zerstückelt mich und verteilt mich über mehrere Nebenfiguren. Barkeeper und Dienstboten. Ich folge der Tintenspur, die sie hinterlassen hat.
Ich konnte nie ergründen, was sie von mir wollte. Nicht einmal im Traum. Ich weiß nur, was sie aus mir gemacht hat.

New York, 1845: Immer mehr Iren flüchten sich vor der großen Hungersnot im eigenen Land nach New York. Den New Yorkern stößt das gewaltig auf, denn noch viel schlimmer als die Tatsache, dass Ausländer ihre Stadt überfluten ist, dass die Iren Katholiken sind. Die politische, sowie die religiöse Stimmung in der Stadt ist angespannt, Eskalation liegt in der Luft. In diesen wirren Zeiten wird die New Yorker Polizei gegründet, zu der auch Timothy Wilde gehört, zugegebenermaßen nicht ganz freiwillig. Doch während er seinen älteren Bruder anfangs noch dafür verflucht, ihm diese Misere eingebrockt zu haben, wird seine neue Tätigkeit spätestens dann zu seiner Berufung, als ihm eines abends ein zehnjähriges, blutbesudeltes Mädchen in die Arme läuft. Bird Daly. Was die Kleine ihm erzählt führt zur Entdeckung von neunzehn Kinderleichen, die nicht die letzten bleiben sollen. Während die neu gegründete Polizei das Verbrechen geheim halten will, weil ein vermeintlich nicht aufklärbarer Mord an neunzehn Kindern ihrem Ansehen einen vernichtenden Schlag versetzen würde, gehen die Bekennerschreiben eines Wahnsinnigen bei den Zeitungen ein. Ein religiös fanatischer Ire, der sich zur Hand Gottes berufen fühlt. Die Stimmung heizt sich auf, Protestanten gegen Katholiken, Demokraten gegen Republikaner und mittendrin Timothy Wilde, der ohne Handhabe eigentlich nur den sinnlosen Tod dieser Kinder aufzuklären versucht - und die, die ihm nahe stehen vor dem hereinbrechenden Wahnsinn zu schützen.

Wieder einmal war es das Cover, das mich auf ein Buch aufmerksam gemacht hat. Die trostlos graue Pflasterstraße und die ebenso grauen Häuserfassaden, die die große, dunkle Schrift umrahmen. Ein Mädchen in einem blutigen Nachthemd, das völlig verloren davor steht und die Schrift anstarrt. Es wirkt gespenstisch und erzeugt direkt auf den ersten Blick die richtige Atmosphäre für die Geschichte, die sich hinter diesem Cover verbirgt.
Das Mädchen lernt man recht schnell kennen: Es ist Bird Daly, die dem Protagonisten Timothy Wilde völlig aufgelöst und blutverschmiert vor die Füße stolpert. Obwohl sie eine wichtige Zeugin des ganzen Falls ist, ist sie eher eine Nebenfigur. Dennoch war es einfach schön zu lesen, wie sich zwischen Tim und dem kleinen Mädchen nach und nach ein zartes Band aufbaute, ähnlich wie Vater und Tochter, wenn auch nie bewusst so definiert. Aber nicht nur Bird und Tim konnten mich für sich gewinnen. Lyndsay Faye hat eine ganze Menge an Nebencharakteren ersonnen, die allesamt ihre eigenen Facetten haben. Die Zeitungsjungs beispielsweise. Tims Jugendliebe Mercy Underhill, die ebenfalls eine große Rolle spielt - auch wenn ich gestehen muss, dass ich ihr leider nicht so viel abgewinnen konnte wie unser lieber Tim. Tims Vermieterin Mrs. Boehm, die Bird hütet, während er mit den Ermittlungen beschäftigt ist. Sein älterer Bruder Valentine, der hin und her gerissen ist zwischen Selbstzerstörung, seinen politischen Ambitionen und dem Bedürfnis, Menschen zu retten. Der ein wenig hysterische und quirlige Kinderarzt Dr. Palsgrave. Lyndsay Faye lässt die Welt des New Yorks des neunzehnten Jahrhunderts nicht allein für Timothy Wilde existieren, sondern verleiht ihr mit all diesen größeren und kleineren Charakteren eine eigene Dynamik. 
Bis zum Schluss hatte ich nicht mehr als eine vage Ahnung, wer hinter all diesen Dingen stecken könnte. Und auch diese wurde in Teilen bestätigt. Zu keinem Zeitpunkt bin ich auf die Idee gekommen, dass es in einem historischen Kriminalroman wie diesem nicht einfach damit getan ist, mit dem Finger auf einen Schuldigen zu zeigen. Das Geheimnis hinter den neunzehn verscharrten und zwei im Laufe des Buches gefundenen Kinderleichen ist sehr viel komplexer als das - und hat mich damit durchaus überrascht.
Besonders originell fand ich, dass Lyndsay Faye versucht hat, noch mehr Atmosphäre in die Straßen und Gossen New Yorks zu bringen, indem sie die dortige Gaunersprache "Flash" beinahe zur Umgangssprache gemacht hat. Worte wie "Baal" (Mann), "Beeker" (Leiche), "dibbern" (reden), "kapore machen" (umbringen), "Oltrische" (Eltern), "Schucker" (Polizeidiener) und viele andere kommen einem zu Hauf unter. Und mit den wenigsten kann man wirklich etwas anfangen. Deshalb gibt es hinten im Buch ein kleines Glossar der Gaunersprache. Sehr nützlich, wie ich finde, und eigentlich auch eine schöne Idee. Allerdings muss ich persönlich gestehen, dass mich solche Dinge, die den Lesefluss behindern, immer eher stören. Wenn es gerade spannend ist möchte ich nicht alle drei Zeilen nach hinten blättern, um nachzugucken, was da jetzt gerade eigentlich gesagt wurde. Es empfiehlt sich also vielleicht vor dem Buchanfang schon mal besagtes Glossar zu studieren, dann verinnerlicht man es vielleicht und spart sich das ewige Blättern.

Insgesamt konnte mich "Der Teufel von New York" wirklich überzeugen, was mich besonders deshalb freut, weil mein letzter historischer Krimi ein totaler Griff ins Klo war. Lyndsay Faye bekommt vier verdiente Blümchen von mir und ich freue mich sehr auf die nächstes Jahr erscheinende Fortsetung und neue Abenteuer mit Timothy Wilde.


Aussehen: ♥♥♥♥♥
Charaktere: ♥♥♥♥
 Spannung: ♥♥♥♥
 Schlüssigkeit: ♥♥♥♥
 Originalität: ♥♥♥♥♥
 Emotionale Tiefe: ♥♥♥
 Schreibstil: ♥♥♥♥





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